Wie ist das historische WM-Aus zu erklären, André Schubert? | OneFootball

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Onefootball·29. Juni 2018

Wie ist das historische WM-Aus zu erklären, André Schubert?

Artikelbild:Wie ist das historische WM-Aus zu erklären, André Schubert?

Das blamable WM-Aus der deutschen Nationalmannschaft steckt uns allen noch in den Knochen. Unser WM-Experte André Schubert analysiert, wie das alles passieren konnte.

Liebe Onefootball-Leser,

die Niederlage gegen Südkorea und das Ausscheiden in der Vorrunde bei der WM hat ganz Fußball-Deutschland schwer getroffen. Die Enttäuschung war riesig und die Emotionen kochten hoch. Und aus diesen Emotionen heraus griffen schnell die üblichen Mechanismen, die Suche nach Schuldigen und natürlich auch die Forderung nach schnellem Handeln.


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Wenige Minuten nach dem Aus wurde dementsprechend über die Zukunft von Jogi Löw spekuliert, der Zukunft vieler Spieler und auch die Forderung nach einem krassen Neustart. Das alles ist nicht überraschend und verständlich nach einer solch bitteren Niederlage. Die Verantwortlichen müssen aber eine sachliche Analyse durchführen und schauen, welche Dinge falsch liefen, welche Fehler gemacht wurden. Und das auch in aller Klarheit und mit aller notwendigen Offenheit, ohne Rücksicht auf vergangene Erfolge. Es stellen sich eine Vielzahl von Fragen und wir alle warten darauf, Antworten auf diese Fragen zu erhalten.

Meine Sicht auf das Ausscheiden

Ich war selbst überrascht und geschockt, aufgrund des Ausscheidens, aber auch aufgrund der Darbietung unserer Mannschaft. Aber ich möchte das Ganze eher aus Trainersicht beleuchten, sachlich hinterfragen und nicht emotional argumentieren, sondern Punkte ansprechen, die belegbar und greifbar sind.

So finde ich es beispielsweise wenig hilfreich, die schwachen Ergebnisse der Vorbereitung mit dem heutigen Wissen nachträglich spekulativ zu bewerten. Natürlich gaben die Leistungen Anlass zur Sorge und ich bin mir sicher, dass auch Jogi Löw die Probleme wahrgenommen hat.

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Aber das ließ nicht zwingend auf ein schlechtes Turnier schließen, wie wir selbst 2014, aber auch etliche andere Teams schon erfahren haben. Löw wird sich aber den Fragen stellen müssen, wie er auf die Vorbereitung reagiert hat. Wie hat er den physischen Zustand der Mannschaft gesehen, wie wurde daraufhin das Training gesteuert, in der Vorbereitung, aber dann auch während der WM? Die Antworten darauf erwarte ich mit großem Interesse!

Mexiko 2.0

Das Auftaktspiel gegen Mexiko haben wir detailliert auseinandergenommen. Auch Löw und sein Team haben analysiert und entsprechende Konsequenzen gezogen. Die Leistung gegen Schweden war eine Reaktion. Nicht brillant, aber taktisch viel disziplinierter.

Einige Umstellungen griffen, die Mannschaft trat in den ersten Minuten sehr gut auf. Ein einziger Konter der Schweden jedoch führte schon zur leichten Verunsicherung und zu Zweifeln. In der Halbzeit besann man sich wieder und es folgte eine gute Leistung und letztlich der späte, aber verdiente Sieg. Und ich war mir sicher, dass unser Team sich nun kontinuierlich steigert und die guten Ansätze weiterverfolgt.

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Umso mehr war ich überrascht, dass die guten Entwicklungen aus dem Schwedenspiel wieder komplett verloren gegangen sind. Angefangen von den Basics wie Körpersprache, Laufbereitschaft, Zweikampfhärte, Entschlossenheit und auch Teamwork! Bis hin zur klaren Aufgabenverteilung und Kommunikation, dem Verhalten nach Ballgewinn mit viel Zug und Tempo zum Tor, dem defensiven Umschalten mit Gegenpressing oder kompakten Verteidigen.

Und auch körperlich war wieder diese hemmende, fast bleierne Müdigkeit zu greifen. Keine Frische, keine Kreativität oder Spielfreude war zu spüren. Viel zu selten schnelle Tempowechsel mit Sprints in die Tiefe und den daraus resultierenden Positionswechseln.

Überraschende Personalentscheidungen

Alles wirkte wie im ersten Spiel einfach nur langsam, mühsam und einfallslos. Und natürlich sind in diesem Zusammenhang auch die Wechsel zu hinterfragen. Hummels und Süle für Boateng (gesperrt) und Rüdiger waren sinnvoll und klar. Letzteres hätte ich mir schon im Schwedenspiel gewünscht, da ich Süle für entwicklungsfähiger und schon etwas stärker halte.

Aber warum wieder Khedira und Özil ins Team rotierten, erklärt sich mir nicht. Ich möchte mich dem üblichen Bashing in Bezug auf die beiden nicht anschließen, aber eins ist deutlich geworden: bei allen Verdiensten und herausragenden Erfolgen für den deutschen Fußball, waren sie in diesen Tagen nicht in der Verfassung – körperlich wie auch mental – der Mannschaft einen Qualitätsschub zu geben.

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Wieder fehlte im Mittelfeld der klare defensive Sechser, der die Kontersicherung übernahm, so wie es Rudy leider nur kurz im Schwedenspiel andeuten konnte. Özil erwies sich wie immer als Ballverteiler, aber für mich verschleppte er das Tempo zu häufig, hielt die Bälle oft zu lang und zeigte zudem Schwächen in der Rückwärtsbewegung bzw. im Gegenpressing. Mit mehr Mut agieren!

Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Partie mutiger und offensiver angehen, da wir davon ausgehen mussten unbedingt gewinnen zu müssen. Und wir hätten an die Mini-Euphorie aus dem Schweden-Spiel anknüpfen können. Eine mögliche Variante wäre für mich gewesen:

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Auch Goretzka statt Draxler wäre für mich denkbar gewesen, gerade weil Goretzka auch auf Schalke in der zentralen Position für viele Ballgewinne sorgte. Brandt zeigte bei seinen wenigen Einsatzminuten gute und mutige Ansätze, spielte unbekümmert und frei auf, war torgefährlich.

Zudem wäre mit Brandt, Reus und Werner viel Tempo im Spiel nach vorn möglich gewesen, Müller hätte aus hängender Position immer wieder seine gefährlichen Räume im Strafraum anlaufen können. Und vor allem: wir hätten ein starkes, frühes Pressing spielen können, mit hohem Tempo.

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Südkorea hatte Probleme im Aufbau hat, wenn man sie unter Druck setzt. Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte, kurze Wege zum Tor mit hohem Tempo. Kroos als Ballverteiler aus dem Zentrum, Kimmich und Hektor hätten sich im ständigen Wechsel nach vorne einschalten bzw. hinten mit absichern können. Und Gómez als alternativer Strafraumspieler wäre jederzeit möglich gewesen.

Gündogan hätte sicherlich auch als einer der drei Mittelfeldspieler agieren können, aber bei ihm hatte ich den Eindruck, dass er nicht frei war, mental etwas mit sich zu kämpfen hatte.