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Borussia Mönchengladbach

·6. Mai 2024

Eine Unterschrift mit Folgen

Artikelbild:Eine Unterschrift mit Folgen

Am Karsamstag 1964 fährt in der Regentenstraße in Mönchengladbach Borussias Zukunft in einem klapprigen Opel Rekord vor. In der Wohnung von Dr. Helmut Beyer sitzen der VfL-Präsident und Manager Helmut Grashoff einem Mann gegenüber, der zuletzt sechs Jahre Liga-Konkurrent Viktoria Köln trainiert hat. Die Viktoria hat in der Vorsaison mit 81 Treffern in 30 Spielen als Torfabrik der Regionalliga West für Furore gesorgt. Der Name ihres Cheftrainers: Hennes Weisweiler.

Als sich die drei Männer zwei Stunden später voneinander verabschieden, ist sich Beyer sicher: „Das ist unser neuer Trainer.“ Am Dienstag nach Ostern stimmt auch der übrige Vorstand zu, und so wird Weisweiler der Nachfolger von Fritz Langner. Eigentlich wollte Borussia in diesem Frühjahr 1964 – die Regionalliga-Saison ist noch mittendrin – gar keinen neuen Trainer verpflichten. Mit der Arbeit von Fritz Langner ist man im Verein zufrieden, der Vorstand will den auslaufenden Vertrag gerne verlängern. Doch dann lockt die Bundesliga. Der FC Schalke 04 sucht einen Nachfolger für Georg Gawliczek und fragt bei Langner nach, der dem Ruf erliegt. Zu verlockend ist die neue Elite-Liga.


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Borussias Verantwortliche können den Reiz nachvollziehen und willigen ein, als Langner um die Auflösung seines Vertrags bittet, um die Königsblauen zu übernehmen. „Langner hatte unsere Mannschaft gut vorangebracht, besonders auf spielerischem Gebiet“, sagt Beyer rückblickend. „Doch ich hatte das Gefühl, dass er an der Grenze seiner Möglichkeiten angelangt war.“ Etwas direkter drückt es Manager Grashoff in seiner Biographie aus: „Im Nachhinein wird man sagen müssen, dass dies eine positive Entwicklung war. Fritz Langner hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet, es war aber an der Zeit, den eisernen Fritz gegen etwas Geniales auszutauschen – gegen einen Trainer, der die volle Entfaltung der hoffnungsvollen Ansätze bewirken könnte.“

Auf der Trainersuche wendet sich Beyer an Bundestrainer Sepp Herberger. Und der hat eine Empfehlung für Borussias Vereinspräsidenten: „Nehmen Sie Weisweiler, der hat ein Gespür für junge Leute.“ Weisweiler „verstehe viel vom Fach“ und sei „ein intelligenter Mann, der klar sieht und nicht eher ruht, bis er sein Ziel erreicht hat“, schwärmt der DFB-Coach. Herberger kennt Weisweiler bestens. Schließlich war dieser Mitte der Fünfzigerjahre ein Jahr lang sein Assistent, Herberger wollte ihn gar zu seinem Nachfolger machen. „Am liebsten hätte ich ihm auch die Arbeit mit der Nationalmannschaft anvertraut. Aber der Hennes wollte ja nicht“, ist Herberger enttäuscht.

Weisweiler, der die Freiheit und Herausforderung eines Vereinstrainers schätzt, wird stattdessen Trainer beim 1. FC Köln und später beim Stadtrivalen Viktoria, ehe er im Frühjahr 1964 Borussia übernimmt. In Mönchengladbach ist der gebürtige Lechenicher durchaus kein Unbekannter. Von 1952 bis 1954 hatte er bereits den Rheydter Spielverein gecoacht. Ende April wird er im Vereinslokal Schumacher mit der Mannschaft bekanntgemacht und übernimmt diese bereits für die zwei restlichen Saisonspiele 1963/64. Der Trainerwechsel kommt einem Paradigmenwechsel gleich. Auf Fritz Langners harte Hand und seine mitunter militärisch anmutenden Methoden folgt ein Coach, der zwar eine gewissermaßen natürliche Autorität versprüht, der aber gleichzeitig stets lernwillig ist und sich offen für die Meinungen und Gedanken seiner Spieler interessiert.

Weisweiler presst Borussia nicht in ein enges Taktik-Korsett, sondern fördert den Individualismus seiner jungen Spieler, die ihm ihre Freiheiten mit unbekümmertem Offensivfußball danken. „Fußball muss Spaß machen, ein 5:4 ist besser als ein 1:0“, ist Weisweilers Credo. Der 45-Jährige avanciert mit einer neuen Art, Fußball zu spielen, zum Architekten der FohlenElf. Als Borussia in der Saisonvorbereitung im Sommer 1964 auf den FC Santos trifft und gegen das brasilianische Star-Ensemble, das mit fünf amtierenden Weltmeistern am Bökelberg antritt, nur unglücklich 1:2 verliert, schwärmt Weisweiler nach der Partie gegenüber einem Freund: „Hast du diese tollen Jungs gesehen? Mit dieser Mannschaft hole ich die Sterne vom Himmel.“

Elf Jahre später wird Hennes Weisweiler Borussia nach 4.016 Tagen Amtszeit Richtung Barcelona verlassen. Er hat die unbekümmerten Jungs aus der niederrheinischen Provinz mit drei Meisterschaften, einem Pokal- und einem UEFA-Cup-Sieg fest auf der deutsche Fußballlandkarte verankert. „Sowas wie in Gladbach gibt’s nur einmal im Leben, so was kommt nie wieder“, sagt er später zu seiner Frau Gisela.

All das hat mit einem Arbeitspapier begonnen, das am 5. April 1964 unterzeichnet wurde und die große Zukunft Borussias besiegelt hat. Und das ein Unikum ist: Denn es bleibt in den elf Jahren am Niederrhein das einzige, das Weisweiler unterschreibt. Alle folgenden Vertragsverlängerungen werden mündlich geführt und per Handschlag bekräftigt.

Dieser Text ist ein Auszug aus der 91. Ausgabe des „FohlenEcho – Das Magazin“. Ihr wollt auch regelmäßig Borussias exklusives Mitgliedermagazin im Briefkasten haben? Dann macht euch Borussia!

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