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Louis Richter·11. März 2018

Kommentar: Typen wie Matthäus sind das wahre Problem

Artikelbild:Kommentar: Typen wie Matthäus sind das wahre Problem

Per Mertesacker äußerte sich gestern zu seinem Leiden unter dem enormen Leistungsdruck, der im Profifußball herrscht. Was Lothar Matthäus dazu zu sagen hatte, ist beschämend und gefährlich. Ein Kommentar.

Der professionelle Fußballer verdient sehr viel Geld und muss deutlich weniger arbeiten, als die meisten Normalverdiener. Das sind Fakten. Und leider auch für viele Fußball-Fans Grundlage genug, um die Profis nach jedem Spiel aufs Neue bewerten zu dürfen. Das war gut. Das war schlecht. Du Versager, du Held, du Vollidiot.


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Die Meinungen und die Schärfe der Äußerungen variieren im Wochentakt, je nach dem, ob der gut bezahlte Kicker seinen Job ausreichend gut (sprich: Sieg) oder mal wieder lächerlich schlecht (sprich: Niederlage) gemacht hat. Wie niedrig die Hemmschwelle mittlerweile ist, zeigt ein kurzer Blick in die sozialen Medien. Es wird beleidigt, gepöbelt und gehetzt. Denn Kommentar-Verfasser-X war unter der Woche ja auch malochen, drum sollen sich die Millionäre auf dem Rasen gefälligst auch am Riemen reißen.

Dass die Fußball-Profis unter diesem Druck, der natürlich auch von zig anderen Seiten ausgeübt wird, leiden, machte der Text vom „Spiegel“ über Per Mertesacker deutlich. In dem Artikel legt der ehemalige Nationalspieler schonungslos offen, was der ständige Leistungszwang mit einem Menschen machen kann. Körperliche Beschwerden vor den Spielen, kein Spaß mehr an dem Sport, den man einst liebte und sogar das Empfinden von Erleichterung bei Verletzungen, da diese eine Auszeit und eine kurze Flucht vor den Kameras und den tausenden Augen der Stadionbesucher mit sich bringen.

Besonderes Aufsehen erweckte folgendes Zitat von Per Mertesacker: „Klar war ich auch enttäuscht, als wir (bei der WM 2006, d. Red.) gegen Italien ausgeschieden sind, aber vor allem war ich erleichtert. Ich weiß es noch, als wäre es heute. Ich dachte nur: Es ist vorbei, es ist vorbei. Endlich ist es vorbei.“ Es wurde auch von den „Sky“-Experten Christoph Metzelder, Reiner Calmund und Lothar Matthäus „diskutiert“. Was letzterer dabei von sich gab, ist erschreckend, enttäuschend und schlichtweg unmenschlich.

In der Nationalmannschaft spiele man freiwillig, Mertesacker „hätte ja aufhören können, wenn der Druck so groß war“. Und weiter: „Wie will er nach diesen Aussagen weiter im Profifußball tätig sein? Er hat doch die Idee, im Nachwuchs zu arbeiten. Wie will er einem jungen Spieler diese Professionalität vermitteln, wenn er sagt, dass da zu viel Druck ist. Das geht nicht.“

Das ist nicht nur schrecklich uneinfühlsam, sondern auch gefährlich. Robert Enke nahm sich einst das Leben, weil er das Gefühl hatte, als Fußballer mit seiner Depression nicht an die Öffentlichkeit gehen zu dürfen. Danach wurde viel geschrieben, man wolle sich bessern und mehr Verständnis zeigen. Neun Jahre später liefert ein Profi erstaunliche und erschreckende Einblicke in sein Seelenleben und schon wird wieder drauf gehauen. Von Fans, von (wenigen) Medien und eben auch von Lothar Matthäus.

Der begab sich durch seinen gestrigen Redebeitrag auf das Niveau der Leute, die Mertesacker kritisierten, weil er doch so viel verdiene und deshalb nicht jammern sollte. Aber Geld oder Erfolg legitimiert niemals das Unterdrücken von echten Gefühlen. Ein paar Millionen Euro ändern offensichtlich nichts daran, dass man betroffen sein kann, wenn man von ein paar Millionen Menschen öffentlich zur Sau gemacht wird.

Denn auch der professionelle Fußballer ist ein Mensch, der neben seinem Beruf sehr viele normale Dinge tut wie Steuern zahlen oder auf Toilette gehen. Im Extremfall auch kurz vor dem Spiel, weil ihn vor lauter Druck, wie es oft bei Mertesacker der Fall war, Brechreiz und Durchfall quälen. Und weil er weiß, dass das, was er gleich auf dem Rasen tun wird, dem Urteil von abertausenden Menschen unterliegt. Und weil die Beschwerden über genau diese Abläufe nur noch weiter zerrissen werden können. Von Typen wie Matthäus oder den zahlreichen Nicknames im Internet.

Das muss sich ganz schnell ändern. Und zum Glück wirkt es so, als passiere das gerade auch. Denn Lothar Matthäus musste für seine Aussagen ebenfalls einen heftigen Shitstorm einstecken. Mit dem Unterschied, dass er sich diesen absolut verdient hatte.